"Hoffung und das Gefühl nicht vergessen zu werden"
Die Werte des Sports verkörpern und in die Welt tragen
Wie haben sich die Herausforderungen verändert? Die grösste Herausforderung war zu Beginn die Beschaffung der Materialien. Obwohl wir sehr schnell viel Geld durch Spenden erhielten, waren viele medizinische Artikel knapp oder gar nicht verfügbar. Heute hat sich die Verfügbarkeit verbessert, aber es ist schwieriger geworden, kontinuierlich genügend Spenden zu generieren, da der Krieg für viele zur traurigen Normalität geworden ist.
Welche Hilfsgüter sind besonders wichtig? Medizinische Ausrüstung steht im Vordergrund. In unseren letzten Lieferungen waren Rettungswagen, Materialien für Operationen und spezielle Autotransfusionssysteme für Krankenhäuser besonders wichtig. Diese Güter retten direkt Leben.
Welche Rolle spielt dein sportlicher Hintergrund in diesem Projekt? Mein sportlicher Hintergrund war ausschlaggebend. Durch den Freestyle-Skisport kenne ich den ukrainischen Nationaltrainer Enver Ablaev seit vielen Jahren. Diese persönliche Verbindung hat den Aufbau eines vertrauensvollen Netzwerks ermöglicht, das die direkte Verteilung der Hilfsgüter in der Ukraine sicherstellt. Ich habe Freunde in der Ukraine, Russland und Weissrussland. Für uns alle ist die Nationalität nicht entscheidend, wir sind Freunde und keiner möchte den Krieg. Einige Tage vor dem Kriegsausbruch gab es an den Olympischen Spielen in Peking ein besonderes Bild: In unserer Sportart platzierte sich Oleksandr Abramenko aus der Ukraine auf dem 2. Platz, und Bronze gewann der russische Athlet Ilja Burow. Beide lagen sich in den Armen, mit ihrer jeweiligen Landesflagge über den Schultern. Ich finde, dieses Foto sagt wortwörtlich mehr als 1000 Worte. Der Sport ist stärker als Grenzen, er ist stärker als Politik und ein extrem wichtiges Puzzleteil unserer Gesellschaft.
Gibt es ein besonders eindrückliches Erlebnis, das dir in Erinnerung geblieben ist? Ja, eine Nacht in Kiew war besonders eindrücklich. Zum ersten Mal hörte ich die Bombeneinschläge in der Ferne. Die Detonationen in den frühen Morgenstunden machten die Dringlichkeit unserer Hilfe sehr real und greifbar.
Ein weiteres sehr eindrückliches Erlebnis war unsere Lieferung in die Region Butscha. Dort hörten wir häufig dumpfe Knallgeräusche. Auf unsere Nachfrage erklärten uns die Bewohner, dass es sich um Minenräumungen handelte. Rund um die Dörfer gibt es viele Minen, die noch jahrelang Leid verursachen werden.
Du hattest eine ungewöhnliche Idee für ein Benefizkonzert. Was war deine Vision? Ich hatte die verrückte Idee, die weltbekannte Rockband "Die Toten Hosen" zu fragen, ob sie mit mir in die Ukraine kommen würden, um ein Konzert in der U-Bahn von Kiew zu spielen. Meine Vorstellung war ein exklusives Konzert für wenige Zuschauer vor Ort, das weltweit per Livestream übertragen wird. Menschen hätten auf der ganzen Welt virtuelle Tickets kaufen können, um "live" dabei zu sein. So hätten wir ein riesiges Konzert und viele Spenden generieren können. Die Band antwortete sehr schnell und besprach meine Anfrage intern. Leider war der logistische Aufwand zu hoch. Trotzdem war es eine tolle Vorstellung!
Was motiviert dich, trotz aller Herausforderungen weiterzumachen? Die Reaktionen der Menschen vor Ort motivieren mich ungemein. Für sie bedeuten die Lieferungen nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch Hoffnung und das Gefühl, dass sie nicht vergessen sind.
Nächste Lieferung und kreative Ideen
Was sind deine nächsten Ziele? Wir planen die Lieferung eines weiteren Rettungswagens, gefüllt mit medizinischer Ausrüstung. Die Finanzierung dafür läuft bereits, aber es fehlen noch rund CHF 30'000. Jeder gespendete Franken wird direkt für die Hilfsgüter verwendet.
Was wäre dein Traum bezüglich Spenden oder zukünftigen Unterstützern? Mein grösster Wunsch wäre, eine kreative und aussergewöhnliche Aktion umzusetzen, ähnlich wie die Idee mit "Die Toten Hosen" in der U-Bahn von Kiew. Ich könnte mir auch eine Versteigerung einer Tennisstunde mit Roger Federer oder ähnliche aussergewöhnliche Events vorstellen. Solche Aktionen könnten nicht nur grosse Spenden generieren, sondern auch Hoffnung und Aufmerksamkeit für unser Projekt schaffen.
Du exponierst dich mit deinem Engagement stark. Wie schätzt du die politische Komponente ein? Mir geht es in erster Linie um humanitäre Hilfe. Ich möchte Menschen unterstützen, die durch den Krieg in Not geraten sind, unabhängig von ihrer Herkunft oder politischen Zugehörigkeit. Der Sport hat mich gelehrt, dass menschliche Verbindungen stärker sind als politische Grenzen. Diese Überzeugung treibt mich an, auch in schwierigen Zeiten weiterzumachen.
Ich bin Sportler und kein Politiker. Für mich ist es wichtig, dass der Familie, die heute keine Heizung hat, geholfen wird. Wichtig ist, dass Kinder trotz der Situation in die Schule gehen und eine Zukunft haben. Auf welcher Seite der Grenze diese Menschen leben, spielt für mich keine Rolle. Auf beiden Seiten leidet die Zivilbevölkerung und nicht die Entscheidungsträger.
Was kann der Sport in der Situation vor Ort bewirken? Der Sport kann Hoffnung und Zusammenhalt schaffen. Er bringt Menschen zusammen, unabhängig von ihrer Herkunft oder aktuellen Lebenssituation. Besonders für Kinder ist der Sport ein wichtiger Ausgleich und bietet einen Moment der Normalität in einer sonst schwierigen Lebensrealität. Sportliche Aktivitäten geben Struktur, Motivation und helfen dabei, psychische Belastungen zumindest kurzfristig zu lindern.
Sport schafft auch ein Stück Normalität. Insbesondere Kinder sollen auch in der Ukraine zwischendurch Kind sein dürfen. Wenn die Schule ausfällt oder nur online gemacht wird, ein Elternteil im Militär ist und es an vielem fehlt, ist es bestimmt sehr schwierig, noch Sport auszuüben. Zudem ist ein grosser Teil der Infrastruktur defekt oder die benötigten Gelder werden anders eingesetzt. Hätte ich die Mittel dazu, würde ich sehr gerne kleine Sportprojekte zum Beispiel in Saporischschja umsetzen, die direkt den Kindern und Jugendlichen zugutekommen.
Ich denke, wir als Sportler sollten noch mehr versuchen, die Werte des Sports in die Welt zu tragen. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wenn Kinder in Saporischschja dank Schweizer Sportlern zwischendurch etwas Normalität erleben, werden sie diese Erfahrungen auch in die Zukunft mitnehmen. Fairness, Toleranz, Teamgeist, Durchhaltewillen, Freundschaft, Engagement und viele weitere Werte sind essenzielle Bausteine einer funktionierenden Gesellschaft.
In einem Krisengebiet gibt es nicht viel zu lachen. Beim Fussballspiel mit Freunden ist der Torjubel jedoch garantiert! Sport verbindet und schafft für kurze Augenblicke wichtige Normalität.